Wer meine Taten schon ein paar Tage länger verfolgt weiß, dass ich gezwungener Maßen schon lange Menschen fotografiere. Wenn jetzt aber sage, dass ich ein ganz furchtbarer Menschenfotograf bin, dann mag das erstmal verwundern. Tatsächlich hatte ich in meiner Zeit als Sportfotograf ständig Menschen vor der Linse, doch der Unterschied zur „Menschenfotografie“, wie ich Portrait-Fotografie gerne nenne, könnte größer nicht sein.
Beim Sport passieren die Momente. Zwar versucht man die Umgebung mit einzubeziehen, den Sonnenverlauf, das Licht, die Spielrichtung und dergleichen, aber am Ende hat man wenig Einfluss auf das Spielgeschehen. Genauso wenig wie man Einfluss auf die Handlungen der Spielerinnen und Spieler auf dem Feld hat.

Portrait-Fotografie, aber anders

Ich habe von Portrait-Fotografie keine Ahnung. Somit werde ich mich hüten, hier auch nur den Anschein erwecken zu wollen etwas dazu erklären zu können. Was ich aber sagen kann ist, dass ich nicht gut darin bin Menschen vor der Kamera Anweisungen zu geben.
Das Warum? ist mir mittlerweile bekannt. Der Schlüsselmoment für die Antwort auf diese Frage war der Workshop „Das etwas andere Portrait“ mit Robin Dißelkamp.
Zu diesem kam ich durch eine Einladung von Leica Store Manager Sebastian, der meinte ich könne den Workshop doch mal begleiten, in Vorbereitung auf meinen ersten Workshop für den Leica Store und nebenbei ein paar Fotos dazu machen.

Was kann das nur werden?

Es ist Freitagnachmittag. Robin Dißelkamp betritt den Leica Store Nürnberg. Als er herein kommt ist er da. Also ich meine, er ist wirklich DA! Präsent, nicht nur anwesend. Und dass, obwohl er ziemlich zerknittert aussah, weil er, wie er selbst zugibt fast verschlafen hätte. Heute kann ich sagen, dass wir Ihn persönlich aus dem Bett hätten zerren können, wäre das wirklich passiert. Es wäre total in Ordnung für ihn.

Während er sich den Weg zur Kaffeemaschine bahnt, umarmt Robin jedes ihn bekannte Gesicht -herzlich-. Seine Herkunft, der Ruhrpott, ist dabei unüberhörbar. Er ist unüberhörbar. Ich stehe nur schmunzelnd daneben und stelle mir die Frage „Was kann das nur werden?“

In einer kurzen Einführung bereitet er die Teilnehmern, auf den kommenden Workshop Tag vor. An einer Hand voll Bildern erklärt er auf seine ganz eigene Art -wir erinnern uns er ist aus dem Pott-, wie so ein „etwas anderes Portrait“ aussehen kann. Bereits jetzt wird klar: Hier geht es nicht um weich geblitzte Studiofotos, oder trashige Aktfotografie. Das wird eine ganz andere Nummer. Der Typ ist eine ganz andere Nummer!

Haxen? Schäufele!

Der Abend klingt bei einem gemeinsamen Abendessen aus. Zwar kennt Herr Dißelkamp den Unterschied zwischen Haxen und Schäufele nicht, aber das bleibt auch die einzige Niederlage an diesen Abend.
Lustige Gespräche wechseln sich mit wertvollen Diskussionen, die weit über das Thema Fotografie hinausgehen, ab.

Workshop-Tag. Let's Go!

Samstag Morgen. Diesmal sehe ich deutlich zerknitterter aus als Robin, der schon voll auf Drehzahl ist. Seine Drohung vom Vortag, dass ich den Workshop sicher nicht nur dokumentiere werde, sondern auch daran teilnehme, habe ich schon vergessen… verdrängt?

Er sieht so viel mehr als ich. Als wir alle!

Eine Stunde noch bis Model Jana ankommt. Wir nutzen die Zeit, um die Sinne zu schärfen. Keep it simplewürde es wohl am treffendsten ausdrücken. Anstatt lange auf Location-Scouting zu gehen, laufen wir die Leica Galerie ab und sprechen darüber, was wir in den überschaubaren Räumlichkeiten nutzen können, um ein interessantes Bild zu generieren. Die Ausrede, man hätte keine passende Location für ein Shooting ab diesem Zeitpunkt dahin.

Gemeinsam sind wir ein Fotograf

So könnte man den Prozess beschreiben, der gerade passiert. Jeder von den Teilnehmern sieht etwas, dass man nutzen können. Einer aber sieht das alles und dazu noch viel mehr. Zu allem, was uns bereits in den Sinn gekommen ist, legt Robin noch zahlreiche Möglichkeiten drauf.

Hey, komm ma her, ja du, Micha! Komm Rüber!

Obwohl ich hinter allen anderen Teilnehmern, in einer schattigen Ecke des Flures stehe macht Robin seine Drohung wahr und ich werde vom Begleiter im Hintergrund zum Teilnehmer. „Hey, komm ma her, ja du, Micha! Komm rüber!“

Schwups. Mein Panikmodus ist AN! Aber davon galoppieren ist nicht. Mittlerweile bin ich mir sicher, Robin würde mir hinterherlaufen und mich mit einem Hechtsprung in John Wick Manier einfangen.

Ich beuge mich der Aufforderung, während er sich ganz gemütlich in einen Lichtstreifen setzt, der durch das Fenster hereinbricht. Sonne! Mein alter Freund! Ich hätte nie gedacht, dass du mir so in den Rücken fällst!

„Jetzt mach ma n Foto!“ – sagt Robin zu mir. Ich drücke das erste Mal auf den Auslöser

„Ja ne, was soll ich machen!“Ich kontere mit einem „Ja, aber du musst mir doch sagen was du uns zeigen willst“

„Nene, du musst mir sagen, was ich machen soll, mach jetzt!“Mit einem Kloß im Hals stammele ich „Schau mal ein bisschen nach da,… also links… und ja Kopf noch’n bisschen nach rechts“ Ich drücke zum zweiten Mal auf den Auslöser.

Absolut unerwartet entsteht das erste Portrait des Tages. Von dem Typen aus dem Hintergrund, der keine Portraits kann.

Natürlich kann ich mir es nicht verkneifen, jetzt sofort über das Display meiner Leica das entstandene Bild anzusehen. Robin steht indes schon hinter mir (wie zum Teufel hat er das so schnell geschafft?), schaut kurz aufs Display und haut nur ein „geiles Bild! Siehst, geht doch, …“ raus.

Ich gehe jetzt aber erst einmal wieder zurück in die letzte Reihe und lasse den Schweiß trocknen, der sich da über dem Bund meiner Unterhose gesammelt hat.
Nichtsdestotrotz bin ich schon ein bisschen stolz auf das Bild. Wohlwissend, dass es unter Anleitung entstanden ist und er genau wusste, wohin er mich bringen wollte.

Eigene Dynamik

Kurze Zeit später trifft Jana, unser heutiges Model ein. Es dauert nicht lange und wir arbeiten uns nach und nach durch die obere Etage des Leica Stores Nürnberg. Jeder Raum wird genutzt. Jeder Raum bietet seine ganz eigenen Möglichkeiten. Jeder Teilnehmer kommt dran und darf die Möglichkeiten nutzen. Robin beobachtet die Situation, gibt hilfreiche Tipps und bringt spontane Ideen ein. Er gibt damit dem Workshop eine Dynamik die völlig frei von Stress ist, jedoch in uns allen einen gewissen Tatendrang weckt.

Mir wird bewusst, dass der Kerl einen ganz speziellen Nagel im Kopf hat. Ein Nagel, der heiß eingeschlagen wurde und nie aufgehört hat zu glühen.

Der Moment, als Robin das Fenster neben mir aufmacht, mich an der Schulter zum Fenster rausschiebt und sagt „so Jana, du guckst jetzt mal da vorne aus dem Fenster und Micha, Fotos! Jetzt!“ verdeutlicht mir das nur einmal mehr.

Auch wenn meine Ansage „ok, aber nicht weiter schieben, sonst war es mein letztes Foto“ ernst gemeint war, fangen wir allen an zu lachen und es entsteht ein ganz bezauberndes Foto von Jana.

Unvorbereitet. Kein künstliches Licht. Keine Requisiten. Kein Bühnenbild. Nur ein Model, ein bezauberndes Lächeln und eine spontane Idee.

Genauso geht es draußen weiter. Jedoch ohne mich. Das bleibt nicht ohne Folgen. Robin bemerkt sofort, dass einer seiner Teilnehmer fehlt, kommt zurück in den Store, sieht wie ich mich gerade an meinem Kaffee festhalte und mich mit einer Leica Fotografin verquatsche. Ein kurzer derber Spruch und schon steht der Micha mit draußen auf der Straße. Gefolgt von einer herzlichen Umarmung von Robin.. Ich werde jetzt nicht wiedergeben, was er gesagt hat. Nur so viel: Der Typ einen einzigartigen Nagel im Kopf. Geiler Typ!

Motive! Überall Motive!

Keine fünf Meter von der Ladentür entfernt wartet schon die nächste Gelegenheit. Ein schnöder Baustellenvorhang. Ich bin in den letzten Monaten dutzende Male unter diesem Baustellenvorhang durchgelaufen. Jetzt steht Model Jana dahinter. Vor ihr ein Dutzend Fotografen, welche durch die zarte Ruhrpott-Stimme eines Robin Dißelkamp angeleitet werden.

Das folgende Bild ist mein Favorit dieses Tages. Es ist auch das erste Foto, welches ich an diesem Tag bewusst angefertigt habe.
Die Serie enthält zwar noch mehr Bilder, jedoch war ich mit den ersten nicht zufrieden. Der Hintergrund zu gleichmäßig. So als hätte man die Aufnahme im Studio gemacht. Hinzu kam, dass das Netz gar nicht sichtbar war, sondern das Bild lediglich weichgezeichnet hat.

Pixel Peeper

Auch wenn Robin an seiner Kamera kein Display hat und betont, dass er es gar nicht möchte, muss ich zugeben, dass es mir an diesem Tag weiterhilft. Für gewöhnlich betreibe ich kaum Pixel Peeping. An diesem Tag hilft es mir jedoch sofort die von mir getroffenen Änderungen sofort im Bild zu sehen und gedanklich zu verknüpfen.

Ich bewege mich also circa 160 Grad um Jana herum. Es entsteht dieses Bild. Mein Favorit:

Gerade weil der Hintergrund nicht gleichmäßig ist, sondern helle Flecken hat, kommt das Baustellennetz deutlicher hervor. Aufgrund des anderen Lichteinfalls gibt dieses Netz auch dem Gesicht eine Struktur, die der Betrachter erst einmal zuordnen können muss. Trotz all dem findet der Blick immer wieder auf Jana zurück.

Früher wäre ich vermutlich mit den ersten Aufnahmen in der Serie zufrieden gewesen. Angestachelt von Robins Ideen und Verrücktheit „zum anderen Portrait“ zu gelangen entstand jedoch etwas ganz anderes, in meinen Augen viel Spannenderes.

Kurzgeschichte Mittagessen

Vom Leica Store, zum Henkersteg, zum Kettensteg, zum Mittagessen. Wir machen so oft es geht halt und so oft es geht Fotos.
Beim Mittagessen hat keiner eine Kamera in der Hand. Kaugeräusche dominieren bis zum Punkt, als Jana lehrreiche Worte sprach: „Das heißt Schäufele, nicht Schäufelchen, Robin“ 

Pixel Peeper

Die letzte Stationen ist eine kleine Seitengasse hinter dem Leica Store. Halb Nürnberg hat an diesem Samstag die Restmülltonne herausgestellt. Robin findet sofort eine passende Stelle für den krönenden Workshop-Abschluss. Wohlgemerkt ohne auch nur eine Mülltonne wegschieben zu müssen!

„Jetzt lassen wir Jana laufen“ sagt er. „Das kann ich!“ denke ich mir. Bewegte Bilder! Egal ob eingefroren, oder dynamisch. Da fühle ich mich wohl. Mit dem gewonnenen Wissen und dem Mut Jana Anweisungen zu zusprechen, bewegen wir uns in der Seitengasse auf und ab.

Jana - Nur Jana.

Lenken wir den Fokus nochmal eben auf das Model. Jana hat an diesem Tag maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mich in meiner Rolle als Fotograf wohlgefühlt habe. Durch Ihre Erfahrung hat Sie mir viele Motive nahezu geschenkt. Besonders weil ich sie nicht ständig „anweisen“ musste. Wie bereits eingangs erwähnt, fällt mir gerade das schwer.
Egal welchen Halbsatz man Jana zugeworfen hat, sie hat ihn zielsicher in eine Pose umgesetzt. So, dass daraus tolle Bild entstehen konnte.

"Brother from a different mother"

Diese Worte stammen nicht aus meiner Feder, aber es beschreibt das, was ab von tollen Bildern von diesem Tag noch geblieben ist.
Ich kannte Robin bis zu diesem Workshop gar nicht. Weder persönlich noch über Social Media. Aber verdammt nochmal, wäre das ein Verlust, wenn Ihm nicht begegnet wäre.
Genau Ihn hat es gebraucht, damit ich mich der Portrait-Fotografie überhaupt nähern konnte.

Robins Art zu fotografieren hat mir gezeigt, dass es nicht immer eine super tolle Location, oder fancy Lichtaufbauten braucht, um Portraits zu machen. Es benötigt nur ein paar Ideen und den richtigen Blick für die Location und man entdeckt ganz viele Möglichkeiten tolle Bilder zu machen.

Ab davon… Dieser Kerl ist total bekloppt. Dieser Kerl ist total authentisch. Er trägt das Herz auf der Zunge. Noch dazu hat er den gleichen kindlichen (manchmal auch kindischen) Humor wie ich und ist trotzdem im richtigen Moment gnadenlos professionell

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